Monografien zur psychiatrischen Patientenverfügung (2)
Die psychiatrische Patientenverfügung im Betreuungsrecht.
Ihre zulässigen Regelungsgegenstände – unter besonderer Beachtung der antizipierten Selbstbestimmung gegen sich selbst
von Julia Hornung
Um den Schluss dieser Besprechung vorwegzunehmen: Ich liebe dieses Buch.
Es gibt hier so viel Nützliches zu finden. Ich würde dieses Buch jeder Verrückten wärmstens empfehlen, wenn es nicht – wie für wissenschaftliche Veröffentlichungen ohne großes Publikum üblich – so sauteuer wäre. Wenn ihr in einer großen Stadt mit einer ausreichend großen Bibliothek lebt, lohnt es sich aber auf jeden Fall, das Buch auszuleihen. Es enthält neben rechtstheoretischen Erörterungen auch jede Menge praktischer Überlegungen und Anregungen für die Erstellung und Anwendung einer psychiatrischen Patientenverfügung. Ich habe nicht die geringste Ahnung, warum Julia Hornung solche Dinge gerade in ihre Doktorarbeit mit eingeschlossen hat, bin aber dankbar, dass sie dies getan hat.
Wie bei Dieners Buch wurde diese Arbeit mitten in einem rechtlichen Umbruch verfasst, in Hornungs Fall war dies die Neufassung der betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung vom §1906 (3) zum §1906a BGB in den Jahren 2016/17. Dieser war weitaus weniger dramatisch als die Abschaffung der alten Zwangsbehandlung, weshalb das Buch Wenig von seiner Aktualität eingebüßt hat.
Dr. Hornungs Buch besteht aus drei Teilen (zuzüglich einer Einleitung und einer Zusammenfassung), von denen die ersten beiden wieder allgemein die Patientenverfügung als Rechtsinstitut beleuchten. Interessant für uns ist dort vor Allem der Vergleich der Patientenverfügung zu anderen Vorsorgeinstrumenten in der Psychiatrie, nämlich der Behandlungsvereinbarung, der Vorsorgevollmacht und der Betreuungsverfügung. Sie kommt zu dem Schluss, dass die psychiatrische Patientenverfügung in vielerlei Hinsicht das begrenzteste dieser Instrumente ist. Sie erkennt aber selbst einen entscheidenden Vorteil. Ich zitiere:
Die Patientenverfügung hat im Vergleich zur Vorsorgevollmacht, zur Betreuungsverfügung und zur Behandlungsvereinbarung einen sehr spezifischen Regelungsinhalt. Durch sie kann der Rechtsgutsinhaber „lediglich“ den Umgang mit seiner körperlichen Integrität für die Zukunft regeln. Allerdings entfaltet die Patientenverfügung nach § 1901a BGB Rechtswirkung gegenüber jedermann und kann, sofern sie im rechtlich zulässigen Rahmen Entscheidungen über medizinische Maßnahmen trifft, nicht übergangen werden.
– S. 101.
Hervorhebung von mir. Behandlungsvereinbarungen werden ja gerne von Kliniken, die schon so weit denken, als Alternative zur PPV angepriesen. Ich sehe darin einige ernsthafte Nachteile (neben einigen offensichtlichen Vorteilen), aber das ist ein Thema, das (mindestens) einen eigenen Post verdient.
Der dritte und längste Teil des Buchs ist mit “Anwendungsfragen der psychiatrischen Patientenverfügung” betitelt. Hier bringt Hornung ihre eigenen Überlegungen zur psychiatrischen Patientenverfügung zur Geltung. Nebenbei führt sie aber auch noch eine ganze Reihe sehr praktische Tipps für Verrückte, die eine PPV nutzen wollen an.
Zunächst setzt sie sich dort ausführlich (S. 103-164) mit dem für uns oft so verhängnisvollen Begriff der “Einwilligungsfähigkeit” auseinander. Wie Viele, die sich damit beschäftigt haben, erkennt sie, dass dieser Begriff, der für uns ja den Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit ausmachen kann, von der Gesetzgebung und Rechtsprechung nur außerordentlich schwammig und schlecht definiert ist.
Weiter diskutiert sie dort (S. 164-174) die Frage, ob eine Patientin einer ärztlichen Aufklärung bedarf, um eine gültige Patientenverfügung zu verfassen. Sie vertritt ein recht überzeugendes Argument, dass es – entgegen dem Großteil der Literatur und dem Wortlaut des Gesetzes – ratsam ist, entweder eine ärztliche Aufklärung vorzunehmen oder explizit den Verzicht darauf in der Patientenverfügung zu vermerken. Insbesondere bei einwilligenden Patientenverfügungen, in denen man einer gewissen psychiatrischen Behandlung zustimmt, hält sie es für sehr geboten.
Hornung führt in diesem Zusammenhang auch ihr Konzept einer sogenannten qualifizierten psychiatrischen Patientenverfügung ein, das ich überhaupt nicht schlecht finde. Sie rät dazu, nach Abfassen der PPV sowohl die eigene Einwilligungsfähigkeit, als auch eine erfolgte Aufklärung über die Konsequenzen der getroffenen Entscheidungen auf der psychiatrischen Patientenverfügung von einer Fachärztin attestieren zu lassen. Unter Anderem betont sie, dass, empirischen Studien zufolge, Ärztinnen in der Praxis eher bereit sind, eine so qualifizierte Patientenverfügung zu befolgen. Sie bemängelt – was ich toll finde – das diese Qualifizierung noch keine Kassenleistung ist und schätzt die hierfür aufzubringenden Kosten (S. 173; sie kommt auf etwa 80 € wenn man die PPV bereits schriftlich mitbringt).
Im Weiteren folgt die obligatorische Prüfung, welche der in Deutschland rechtlich möglichen Zwangsmaßnahmen durch eine psychiatrische Patientenverfügung beeinflusst werden kann. Dr. Hornung kommt – wir kennen es schon – zur Wortlautinterpretation der PPV, wobei ich jedoch ihre Ausführungen und Kommentare hilf- und aufschlussreicher finde, als bei vielen anderen Autorinnen. Nämlich:
Bei der Betreuerbestellung schreibt sie:
Der Gesetzgeber hat sein Konzept des Erwachsenenschutzes mit den verfahrensrechtlichen Vorschriften […] zur zwingenden Einholung eines Gutachtens vor der Bestellung eines Betreuers abgerundet. § 280 Abs. 1 FamFG macht die Einholung eines ärztlichen Gutachtens erforderlich, das der Gutachter […] grundsätzlich nur nach Untersuchung und Befragung des Betroffenen erstellen darf. Wenn der Betroffene sich der gutachterlichen Untersuchung und Befragung allerdings räumlich entzieht oder sich ihnen verweigert, so stehen dem Betreuungsgericht verfahrensrechtliche Zwangsmittel zur Ermittlung des Sachverhalts – der Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen – zur Verfügung. Das Gericht kann die Untersuchung […], die Vorführung zur Untersuchung […] und als letzten Schritt auch die Unterbringung zur Begutachtung […] anordnen. Das Gericht ist ebenso befugt, die Anwendung von Gewalt zur Durchführung seiner Anordnungen zu erlauben […]. Aus § 280 Abs. 1 FamFG (Einholung eines Gutachtens) folgt allerdings nicht, dass der Betroffene verpflichtet ist, bei der Untersuchung oder der Befragung durch den Arzt mitzuwirken. Selbst wenn das Gericht die Untersuchung anordnet […], ist der Betroffene nur zur passiven Duldung, nicht aber zur aktiven Mitwirkung an der Untersuchung in der Form verpflichtet, dass er Fragen zu beantworten hätte oder invasive körperliche Eingriffe gegen seinen Willen geschehen lassen müsste. […] Für die Fälle, in denen sich der Betroffene, bei dem die Betreuungsbedürftigkeit in Frage steht, der Mitwirkung an einer Untersuchung und Befragung verweigert, ermöglicht § 284 Abs. 1 FamFG daher als ultima ratio die zunächst sechswöchige freiheitsentziehende Unterbringung zur Begutachtung. Im Rahmen dieser wird der Betroffene beobachtet, sofern er sich weiter der Mitwirkung an der Untersuchung und Befragung verweigert. Auf Grundlage dieser Beobachtungen kann der Sachverständige, sofern er aussagekräftige Erkenntnisse gesammelt hat, ein ärztliches Gutachten für das Betreuungsgericht erstellen. […] Somit hat der Betroffene durch sein verweigerndes Verhalten zwar einen gewissen „Handlungsspielraum“, dennoch kann er nicht gänzlich die Erstellung eines Sachverständigengutachtens verhindern, das Aussagen über seine Betreuungsbedürftigkeit trifft.
– S. 197ff.
Hervorhebung von mir. Die Autorin hat damit unabsichtlich einen – vielleicht etwas unpraktischen, aber definitiv möglichen – Weg vorgezeichnet, wie sich eine ernstlich Verrückte mit der Berliner PPV erfolgreich gegen eine von ihr nicht gewünschte rechtliche Betreuung wehren könnte. Die hier erwähnte ultima ratio, um einen Betreuungsbedarf zu ermitteln, die Unterbringung zu Begutachtung, wäre ja wieder eine Maßnahme, die man mit einer PPV, die eine Unterbringung praktisch unmöglich macht, abwürgen könnte. Das ist aber auch wieder etwas, dass einen oder mehrere Posts für sich verdient.
Bei der Untersuchung der (direkten) Anwendbarkeit einer psychiatrischen Patientenverfügung auf die §§ 280, 283, 284, 321, 322 FamFG, in denen es um die Gutachtenerstellung zur Ermittlung einer Betreuungs- und Unterbringungsbedürftigkeit geht, zerpflückt Hornung die PatVerfü netterweise ausdrücklich als ihr Beispiel (S. 204-207).
Wie alle Autorinnen außer Dagmar Brosey verneint auch Hornung die Möglichkeit, in einer PPV eine Unterbringung wegen Selbstgefährdung direkt auszuschließen. Alle kommen zum selben Schluss, nur die Argumente dafür unterscheiden sich immer ein Wenig. Hornung mach ihre diesbezügliche Meinung u.A. daran fest, dass es bei einer Patientenverfügung, die zum Tod durch einen ärztlichen Behandlungsabbruch führt, sich um eine passive Todesursache handelt, während die Selbsttötung einer Verrückten ein aktives Handeln wäre (meine Kritik zu Diener gilt hier gleichermaßen). Das ist natürlich für die Berliner PPV nicht uninteressant, da die Idee dahinter ja gerade ist, während einer Unterbringung gegen Selbstgefährdung durch passives Handeln (Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit) eine größere Selbstgefährdung herzustellen, als in Freiheit bestünde.
Hornungs Ergebnisse zur Behandlungsunterbringung und unterbringungsähnlichen Maßnahmen unterscheiden sich nicht wesentlich zu Dieners.
Wo sich ihr Buch jedoch hervortut, und was wohl auch der Grund ist, dass es die Verleihung der Doktorwürde zu Folge hatte, ist die Diskussion der Autorin über diejenigen Fälle, in denen die in einer Patientenverfügung geäußerten Wünsche und die von derselben Patientin aktuell vorgetragenen divergieren. Diener hat dies ja nur sehr kurz und zu stark an die somatische PV angelehnt abgehandelt.
Wie Vieles in ihrem Buch illustriert Dr. Hornung diese mit hervorragenden Diagrammen. Aus Gründen des Urheberrechts gebe ich keines von diesen hier wieder, sondern habe mein eigenes angefertigt, um den Sachverhalt zu veranschaulichen:
Problemfall 1 wurde ja bereits von Diener erörtert, wobei er dafür plädierte, in einem solchen Fall die Behandlung doch durchzuführen. Hornung legt ausführlich und überzeugend dar, dass es juristisch so einfach nicht ist, es sei denn, die Patientin hat bereits in der Patientenverfügung bestimmt, dass eine spätere Zustimmung zu beachten ist. Ich habe das auch bei der Berliner PPV thematisiert.
Problemfall 2 ist, wo es richtig kompliziert wird. Es handelt sich hierbei um diejenige Problematik, an der ich mich in der Berliner PPV-B versucht habe. Hornung führt schlüssig aus, dass sich hierzu der Gesetzgeber selbst (und auch das Bundesverfassungsgericht) nicht ausreichend Gedanken gemacht hat. Eine psychiatrische Patientenverfügung, die einer bestimmten Behandlung zustimmt, stellt nach §630d BGB eine wirksame Einwilligung in eine Behandlung dar. Andererseits macht der dieser Behandlung aktuell entgegenstehende eingeschränkte Wille der Patientin diese wiederum zu einer Zwangsbehandlung, weswegen die rechtlichen Regeln zur Zwangsbehandlung trotz wirksamer Einwilligung eingehalten werden müssen. Hornung kritisiert diesen Zustand, wie ich finde zu Recht. Ich habe, wie erwähnt, nichts dagegen, wenn sich Verrückte im akuten Zustand eine schnelle, wenn nötig auch zwangsweise, Behandlung wünschen und erachte dies auch als eine legitime Form der Selbstbestimmung.
Zum Abschluss würde ich gerne noch Dr. Hornungs hervorragende Checkliste, wie Psychiatrie-Nutzerinnen eine möglichst gute psychiatrische Patientenverfügung erstellen können, wiedergeben:
Vor dem Abfassen der PPV:
- sich informieren
- Beratung einholen
- ggfs. eine Vorsorgebevollmächtigte mit an Bord holen
Verfügbarkeit der PPV sicherstellen:
- Ärztin / Klinik über die PPV informieren und ggfs. eine Kopie bei ihnen hinterlegen
- PPV in das zentrale Vorsorgeregister eintragen
- einen Hinweis auf die Existenz der PPV mit sich tragen
In Bezug auf die Umsetzung im Ernstfall:
- regelmäßig überprüfen, ob man noch so hinter der PPV steht
- Regeln in die PPV schreiben, wie zu verfahren ist, wenn man im Ernstfall selbst der PPV widerspricht